Die Geschichten von Tausendundeine Nacht verzaubern schon lange Kinder sowie Erwachsene mit den Erzählungen aus dem Orient. Doch das für träumerische und atemberaubende Geschichten mit orientalischem Hintergrund kein Buch aufgeschlagen werden muss lerne ich, als ich Vera besuche um mit ihr Plov zu kochen. Während der Reis vor sich hinköchelt schwelgt sie in Erinnerungen aus ihrer Kindheit und der Zeit in Usbekistan.
Eine der vielzähligen Geschichten dreht sich um das „Non“. Non ist eine Art Fladenbrot mit einem besonderen Stellenwert in Usbekistan. Zu fast jedem Gericht wird das kreisrunde Gebäck gereicht. Auch in anderen Ländern ist das Fladenbrot bekannt, in Usbekistan wird es allerdings zur Kunst erhoben. „Es ist einfach himmlisch!“, erzählt Vera und inspiriert mich, noch mehr über dieses besondere Brot herauszufinden.
Der Tandyr
Gebacken wird es in einem speziellen Tonofen, dem „Tandyr“. Viele werden ihn im Zusammenhang mit Indien kennen, dort wird der Ofen Tandoor genannt und in ihm werden die bekannten Tandoori-Gerichte zubereitet. Es gibt Varianten in denen die Öffnung nach oben zeigt, Vera erzählt mir von der horizontalen Variante, bei dem die Öffnung wie bei einem Holzofen vorne ist. Der runde Lehmofen wird, ebenfalls wie bei einem Holzofen, mit Holz befeuert, somit bekommen die Brote ein besonderes Aroma. Diese Öfen haben eine sehr lange Tradition, in Usbekistan kann man sie in einer transportablen Variante auf dem Markt finden und die Non gleich dort frisch kaufen, wenn sie noch warm sind.
Die „Nonvoy“, so werden die Bäcker der Non in Usbekistan genannt, lernen über Jahre hinweg die Kunst des Backens in diesem Ofen. Die Brote werden an die oberen, heißen Seitenwände ins Innere des Ofens gedrückt. Nachdem sie aufgegangen und fertig gebacken sind, holen die Nonvoy die fertigen Non mithilfe eines Feuerhakens von den Wänden des Tandyr.
Muster für die Non
Das Besondere dieser Brote ist allerdings nicht nur die Art, wie sie gebacken werden. Ein verschnörkeltes, kunstvolles Muster ziert die Non und macht sie Einzigartig. Vor dem backen werden die Teiglinge dafür mit einem Stempel, dem „Tschekitsch“, geprägt. Dadurch erlangen die Non ihre Muster und die spezielle Form, welche im Inneren Flach und am Rand fluffig und weich ist.
Mehr als nur ein „Brot“
Usbekistan ist ein sehr traditionelles Land. Einen besonderen Stellenwert hat dabei auch das Brot. Geschichten und Traditionen ranken sich um das Gebäck, an vielen Stellen wird ihm eine große Bedeutung und Hoffnung zugesprochen. Wie auch in einigen anderen Kulturen und Ländern gilt das Brot in Usbekistan als heilig. Es verkörpert die Lebensquelle, die Nahrung und somit auch den Wohlstand. Dieses Heiligtum des Brotes ist auch in einem usbekischen Sprichtwort, welches Kinder schon von klein auf lernen, erkennbar: „Wer auf Brot tritt erblindet.“ Daher wird auf dem Boden liegendes Non auch immer gleich aufgehoben, bevor jemand darauf tritt. Das heruntergefallene Brot wird anschließend auf der Fensterbank oder einem anderen öffentlichen Platz deponiert und so den Bettlern und Vögeln angeboten. Das Non wird traditionell nur in gerader Zahl verkauft und man achtet sorgfältig darauf es immer zuoberst in die Tasche zu packen. Ebenso wichtig ist es, das Non immer zuerst und vor allem mit der runden Seite nach oben auf den Tisch zu legen. Alles andere würde als unhöflich gelten. Generell ist es den Usbeken sehr wichtig ihren Gästen ein guter Gastgeber zu sein, dazu gehören in Ihren Augen auch, den Gästen Tee und Brot zu servieren.
Das Brot mit Freunden und Familie zu teilen scheint in mehreren Kulturen eine große Rolle zu spielen. Vielen wird dabei die christliche Bedeutung einfallen, indem man beim Abendmahl das Brot mit Freunden teilt um dem Jesus Christus zu gedenken. Doch schon zuvor wird das Brot in der Bibel genannt und gehuldigt. Das Brot gilt schon seit Jahrhunderten als Nährmittel, somit für viele auch als Lebensquelle. Auch im Orient war der Getreideanbau Nahrungsgrundlage, auf das man angewiesen war. Das fertige Brot galt und gilt auch heute noch für viele als Hoffnungsbringer und Segen. Das Brot mit den Freunden und der Familie zu teilen bedeutet daher im traditionellen Sinne sie zu nähren, sie am Reichtum teilhaben zu lassen und sie als Gast zu empfangen. Wichtig ist dabei immer, dass das Brot nicht geschnitten, sondern gebrochen wird.
Doch egal wie viele Traditionen, Geschichten und Vermutungen sich um das Non ranken, laut Vera ist es schlicht und ergreifend lecker und schon dadurch einen Versuch wert. Wer also in Usbekistan über einen Markt schlendert sollte die Chance nicht verpassen bei einem echten Nonvoy halt zu machen und ein paar noch warme Non mit nach Hause zu nehmen – aber Achtung, wer die Tradition wahren möchte kauft sie in gerader Zahl!